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Selten blickt man bei einem öffentlichen Anlass in Gesichter mit dieser Intensität von Gefühlen und Regungen. Universitätsmusikdirektor David Timm musiziert an beiden Orgeln und Klavier mit Maria Küstner und Daniel Beilschmidt: Bachs Praeludium und Fuge h-moll für die Paulinerkirche kontrastiert mit Schostakowitschs e-moll-Präludium, in dem dieser 1950 die Abkehr junger deutscher Komponisten von den alten Gattungen kritisierte. "Drei Seligpreisungen" (1969) des Leipziger Kantors Volker Bräutigam und das "Präludium, Kyrie, Sanctus" (1966) von Bengt Hambraeus erinnern an die Zeit der 68er-Bewegung, des Prager Frühlings und der immer stärkeren Repressalien in der DDR. Wie erleichtert flutet am Ende der Applaus über Arvo Pärts widerstandsfrei wohltönendes "Annum per Annum" für Glocken und Orgel. [...]

Beilschmidt sucht in seiner von der Stiftung Universitätskirche beauftragten Komposition nicht die erschütternde Vergangenheit, sondern eine bessere Zukunft: Die fünf Sätze seiner "Visionen" auf Texte aus Psalm 130, Matthäus, der Offenbarung und Jesaja enden mit einem fragenden Sanctus-Hosanna-Benedictus. Es ist eine Werkstruktur der anwachsenden und scharfen Reibungen: Dialoge der Orgeln, durch den Leipziger Universitätschor herausgestoßene Silben und in heikler Lage komponierte Frauenstimmen, dem Bartiton Wolf Matthias Friedrich und der Sopranistin Yoora Lee-Hoff zugedachte Rezitativfragmente.

Diese musikalischen Mittel sind ein Spiegel der mit der Neueröffnung des Paulinums als überwunden gefeierten Vergangenheit, weil sie Glauben nicht als komplikationslos zu gewinnendes Gut darstellen. Beilschmidt zeigt mit nur selten aufgelösten Dissonanzen den schwierigen Weg zur Glaubenssicherheit. "Jeder Engel ist schrecklich." schallt es aus dem dicht komponierten Mittelteil seiner Partitur. Mit gehaltenen Akkorden wird gegen Ende mehr Zuversicht spürbar.

Dieses Auftragswerk ist auch eine Studie im Umgang mit der akustischen Individualität der Schwalbennestorgel. Scharfe Dissonanzen erklingen deshalb von Klarinette, Schlagwerk und Violoncello. Beilschmidt setzt mit "Visionen" an den Beginn der jungen Zukunft des als Phönix aus der Asche entstandenen Paulinums keine pompöse Feiermusik, sondern eine Partitur über die Anstrengungen des Wegs zu Glaube, Liebe, Hoffnung. Das verübelte ihm ein Teil der Hörer.